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NFT - Die unregulierte Marketingmaschine

Die Weltwoche, 7. April, 2022. / Philipp Koller, STRATS GmbH

Würden Sie ein Bild nur deshalb kaufen, weil es ein Ölbild ist? Nein, das käme Ihnen nie und nimmer in den Sinn. Exakt dies scheint nun aber der aktuelle NFT-Hype im Bereich der digitalen Kunst von uns zu verlangen.: «Kaufen Sie einen NFT!», auch schon gelesen? NFT, die Abkürzung für Non Fungible Token, wird der Welt seit gut zwei Jahren als neue Kunstform vorgestellt. Dabei werden keine Superlative ausgelassen: Im Namen von NFT wird neue Kunst, das grosse Geld, ja die Demokratisierung des Kunstmarktes schlechthin versprochen. NFTs sind aufgrund ihrer Blockchain-Basis fälschungssicher, beliebig handelbar – auch in Anteilen – und auf keine Intermediäre wie Galerien, Auktionshäuser, etc. angewiesen. Alles grossartig. Bloss sind NFTs an sich keine Kunstwerke, sondern nichts weiter als ein Verfahren zur Herstellung von Kunst. Genauso wie ein Ölbild per se kein begehrenswertes Kunstwerk darstellt.

Was hat es mit den Argumenten der NFT-Revolution auf sich? Da wäre als erstes die Fälschungssicherheit zu nennen. Mittels eingeschriebener Krypto-Signatur verfügt der NFT-Besitzer über ein Unikat, alle Vervielfältigungen sind Kopien. Ist das gegenüber einem Ölbild neu? Bei 99 Prozent aller Ölbilder muss man sich keine Gedanken über eine Fälschung machen. Sie sind immer Unikate. Oder würden Sie bei den Bildern in Ihrer Quartiergalerie von einer Fälschung ausgehen? Nur das eine Prozent etablierter, teurer Werke ist fälschungsanfällig. Hin und wieder kommt eine solche Fälschung zum Vorschein. Grundsätzlich funktioniert das Netz aus Museumskuratoren, Kunstexperten, Händlern und Werkverzeichnissen jedoch sehr zuverlässig. Das Argument der Fälschungssicherheit trifft somit auf die digitale Kunst zu, ist jedoch bezogen auf den gesamten Kunstmarkt obsolet.

Als zweites werden die guten Gewinnchancen ins Feld geführt. Die NFT-Plattformen lassen schnellen Handel zu und fördern so rasche Preissprünge. Ist das revolutionär? Es geht hier um Spekulation, und schnelles Handeln mit Kunst ist nicht neu. Das sogenannte Art-Flipping, bei dem junge Künstler hochgejubelt und ihre Werke gekauft und wieder verkauft werden, gibt es schon seit längerem. Die Folge ist, dass sich die Preise nicht halten und die Künstler so schnell in Vergessenheit geraten, wie sie aufgetaucht sind. Auch der direkte Handel durch die Künstler ist nicht neu. Viele Künstler verkaufen via Social Media erfolgreich online. In den meisten Fällen verspricht aber eine gut vernetzte Galerie mehr Erfolg.

Und damit wären wir bei einem weiteren Argument: den wegfallenden Intermediären. Für den Handel auf den NFT-Plattformen braucht es tatsächlich keine Galerie, jeder Künstler kann sein eigener Kunsthändler sein. Weshalb aber schalten sich zunehmend Auktionshäuser erfolgreich ins Geschehen ein? Weil sie für den Kunstkenner nach wie vor die Selektion übernehmen, indem sie nur aufnehmen, was sich als marktwürdig erweist. Langfristig werden sich herausragende NFTs als Kunstwerke behaupten, und ein nachhaltiger Markt innerhalb des Kunstmarkts wird sich herauskristallisieren. Mehr und mehr werden auch etablierte Künstlerinnen und Künstler mit einer Galerie und langjährigen Sammlern im Hintergrund auf NFT-Plattformen zu sehen sein.

Wer die Berichterstattung über NFT in den letzten zwei Jahren verfolgt hat, stellt fest, dass 90 Prozent der Berichte auf professionell und global orchestriert wirkenden Pressemitteilungen basierten, die zunächst auf IT- und Finanzportalen wiedergegeben wurden: Sensationsmeldungen  über Preisrekorde, Handelsvolumen und prominente NFT-Besitzer. Im Nu wurden dann für alle Mediengenres die passenden Stories aufbereitet: IT-Portale berichteten über die Handelsplattformen, Wirtschaftsmedien über die Preise, Trendportale über die Prominenten und die Gratiszeitungen porträtierten auf der Titelseite Teenager, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein NFT-Profilbild. Alles schien somit abgedeckt – bis auf die Kulturredaktionen. Aber erst mit deren Hilfe können die digitalen Werke zu Kunst geadelt werden.

Geburtsstunde der NFT für den etablierten Kunstmarkt war am 11. März 2021. Da wurde für das Werk «Everydays: The First 5000 Days» des Künstlers Beeple ein Auktionsrekord von 69,3 Millionen Dollar erzielt. Ob inszeniert oder nicht: die Sensation wurde auf allen Kanälen gleichzeitig publik. Die Kunstredaktionen holten nach und gaben wieder, was zuvor die Wirtschaftsmedien geschrieben hatten, nun jedoch mit einer Gebrauchsanweisung für den womöglich IT-fernen Kunstsammler. Nach dem Drehbuch der Bitcoin-Aufklärung wurden nun die Leser im Detail darüber informiert, wo NFTs zu erwerben sind, wie man sie herstellt, welche Höchstpreise bereits erzielt wurden, wie man selbst ans grosse Geld gelangt. Dies alles wirkte, als ob es aus der Medienmappe einer einzigen PR-Agentur entstammen würde. Den Zuschlag für Beeples Werk erhielt bei der von Christie’s durchgeführten Online-Auktion übrigens der Investor MetaKovan aus Singapur, dessen Firma Metapurse einen Fonds für Kryptowährungen betreibt.

Demokratisierung des Kunstmarktes? Man sollte wohl eher von einem Spekulationsmarkt der Finanzbranche sprechen. Die eigentlichen Gewinner sind, mit Ausnahme einiger Glückspilze, die Investmentgesellschaften, die als Drahtzieher hinter den NFT-Plattformen ihre finanziellen Interessen verfolgen. Die NFTs sind der grösste Versuch, den Kunstmarkt in eine pure Marketingmaschine umzufunktionieren.Ein Punkt muss noch erwähnt werden: der unregulierte NFT-Markt bietet in Kombination mit dem nicht viel stärker regulierten Kunstmarkt paradiesische Möglichkeiten für kriminelle Machenschaften. Laut dem US-Finanzministerium ist die Gefahr offenkundig, dass Kriminelle mit illegalem Geld NFTs kaufen und an unvorsichtige Sammler weiterverkaufen, um ihr Geld sauber zu waschen.

Sind NFTs mehr als eine Finanz-Trickserei mit der Kunst als Feigenblatt? Versuchen Sie Ihr Glück und werden Sie reich. Oder erwerben Sie ein schönes NFT zu einem bescheidenen Preis und freuen Sie sich darüber wie über ein Ölbild von Ihrer Quartiergalerie. Ich persönlich freue mich auf tolle NFTs, die sich auch in zehn Jahren noch halten. Ob es die Plattformen dann noch gibt, ist eine andere Frage. Und behalten Sie die Regulierung im Auge. Sollte sie anziehen, sieht die schöne demokratische Kunstwelt ohne Investmentfirmen bald ziemlich blass aus.